Was kann Kanban im PM

02 November 2016
Erstellt von Ing. Alexandra Schermann, BA
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Heute gibt es eine Vielzahl von unterschiedlichen Projektmanagementmethoden und –standards. Klassische Methoden wie IPMA, PMI oder PRINCE2 sowie agile Methoden wie Scrum, XP oder Software-Kanban. Nicht zu vergessen die hybriden Modelle, die klassisches und agiles Projektmanagement vereinen. Diese Vielfalt ist Segen und Fluch zugleich. Einerseits können wir durch diese unterschiedlichen Vorgehensweisen flexibel auf die speziellen Anforderungen der Organisation und des Projekts eingehen, andererseits entsteht durch diese Vielfalt auch große Unsicherheit.
Um entscheiden zu können, welche grundlegende Richtung wir in unserem Projekt einschlagen wollen und welche Methoden aus anderen PM-Standards hinzugezogen werden können, müssen wir die grundlegenden Prinzipien der unterschiedlichen Methoden kennen und uns wieder ein Stück von den strengen Formalismen trennen. Denn Flexibilität in den Methoden braucht Raum.
In dieser Troubleshooter-Ausgabe möchte ich die Prinzipien von Kanban vorstellen und analysieren inwieweit uns Kanban im Projektmanagement unterstützen kann.

Entwicklung von Kanban

Kanban stammt aus dem Japanischen und bedeutet Signalkarte. Es hat seine Wurzeln in der japanischen Automobilindustrie und wurde 1947 von Taiichi Ohno entwickelt. Davor waren die Produktionsbetriebe darauf ausgerichtet wenige Modelle in großen Stückzahlen zu produzieren. Nun sollte es möglich sein mehr unterschiedliche Modelle in geringeren Stückzahlen herzustellen.
Das Kanban-System wird von der letzten Fertigungsstufe gesteuert. Erst wenn der Lagerbestand eines bestimmen Materials einen zuvor definierten Wert unterschreitet, wird bei der vorgelagerten Produktionseinheit die Produktion angestoßen. Dies ist das grundlegende Pull-Prinzip des Steuerungsverfahrens. Damit konnten die Lagerkosten von Material drastisch gesenkt und auf Schwankungen im Bedarf flexibel reagiert werden.
Wir finden das Pull-Prinzip öfter als wir denken in unserem täglichen Leben. Wenn ich z.B. möchte, dass eine Zahnpastatube immer in Reserve im Schrank steht, notiere ich sobald ich die Tube aus dem Schrank öffne, auf meiner Einkaufsliste „Zahnpasta“ und wende damit das Pull-Prinzip an.
David J. Anderson übertrug die Kanban Konzepte auf den Bereich der Software-Entwicklung und entwickelte sie weiter. KANBAN als evolutionäres Change Management entstand zwischen 2006 und 2008 und hat sich seitdem nach Lean-Prinzipien weiterentwickelt.
Kanban beginnt dort, wo sich das System gerade befindet
Kanban strebt inkrementelle, evolutionäre Veränderung an
Kanban respektiert die bestehenden Rollen, Abläufe und Prozesse

Kaizen - Kultur der kontinuierlichen Verbesserung

Nach dem Pull-Prinzip werden die Aufgaben nicht vom Projektleiter an die Mitarbeiter verteilt, sondern die Mitarbeiter nehmen sich selbständig ihre Aufgaben. Damit dies möglich ist, braucht es Mitarbeiter die sich für das Endprodukt verantwortlich fühlen. Dies kann wiederum nur erreicht werden indem Mitarbeitern die Verantwortung für ihre Arbeit übertragen wird. Was letztendlich bedeutet dass das Management den Mitarbeitern Vertrauen entgegen bringen muss. 

Treten Probleme oder Fehler auf, müssen diese sofort analysiert und behoben werden. Das Kanban-System ist somit ein lernendes System, das sich kontinuierlich hinterfragt und verbessert. Damit dies alles in einer Organisation möglich ist, braucht es entsprechende Werte, die von allen Beteiligten gelebt werden müssen.
Das Management muss den Mitarbeitern vertrauen – nur so ist eigenverantwortliche Arbeit möglich.
Es muss offen über Problem und Fehler gesprochen werden können.
Es braucht kollegiales Verhalten und systemisches Denken in der Organisation und im Team

Welchen Nutzen bringt das Kanban-System

Die Qualität wird erhöht indem man die Anzahl der gleichzeitig zu bearbeitenden Aufgaben (=Work in Progress) reduziert.
Durch das Pull-System werden Engpässe sichtbar und können dadurch behoben werden.
Durch die Limitierung der Anzahl der Aufgaben im System entstehen Freiräume, die für die kontinuierliche Verbesserung der Prozesse notwendig sind.
Erhöhen der Vorhersagbarkeit und Termintreue durch kürzere Durchlaufzeiten.
Erhöhung des sozialen Kapitals sowie verbesserte Zusammenarbeit
Aufgaben und Prozesse sind transparent. Dadurch lassen sich die Auswirkungen von Entscheidungen oder unterlassenen Handlungen leichter erkennen.


Wie funktioniert KANBAN?


Hauptziel von Kanban ist es in einem System Mechanismen zu installieren, die laufende Veränderungen möglich machen. Damit Veränderungen möglich sind müssen die Prozesse der Wissensarbeit aber zuerst sichtbar gemacht werden.

Visualisieren des Arbeitsflusses und der Arbeit

Zunächst muss entschieden werden welcher Teil der Wertschöpfungskette visualisiert und analysiert werden soll. In einem Projekt können die entsprechenden Projektphasen dargestellt werden.
Die ausgewählten Phasen oder Prozess-Schritte werden auf einem Kanban-Board visualisiert. Ich verwende dazu gerne eine Pin-Wand auf die die einzelnen Projektphasen notiert werden. Die einzelnen Aufgaben (Arbeitspakete) werden auf Kärtchen geschrieben und in die Input-Queue gepinnt.
Einteilung in Aufgabentypen Die Aufgabentypen werden als Swimlane dargestellt. Je Aufgabentype kann definiert werden wie viele Aufgaben sich gleichzeitig im System befinden dürfen. Sofern notwendig kann für einen Aufgabentyp auch eine Phase entfallen. In unserem Beispiel entfällt bei Bugfixing die Designphase.

Limitierung der Arbeit – Work in Progress (WIP)

In vielen Projekten stehen die Mitarbeiter nicht zu 100% dem Projekt zur Verfügung. Oft müssen Projektmitarbeiter parallel an mehreren Projekten gleichzeitig arbeiten. Dies führt jedoch auf lange Sicht zu erheblichen Qualitätseinbußen und Terminverschiebungen.
Der permanente Wechsel zwischen mehreren Aufgaben führt zu
langen Durchlaufzeiten,
langen Feedbackschleifen die wiederum zu erhöhtem Aufwand bei der Fehlerbehebung führen.
ungenauen Schätzungen und Terminplanungen. Der Aufwand einer einzelnen Aufgabe kann gut eingeschätzt werden. Es ist jedoch fast unmöglich die Durchlaufzeit richtig einzuschätzen wenn an vielen Aufgaben gleichzeitig gearbeitet wird.
Qualitätseinbußen da der Mitarbeiter ständig durch andere Aufgaben unterbrochen wird
Aus diesem Grund wird die Anzahl der parallel zu bearbeitenden Aufgaben durch die WIP-Limits begrenzt. Wir limitieren so die Arbeit auf jene Kapazität die das System tatsächlich abarbeiten kann. Wird nun z.B. in der Phase Umsetzung eine Aufgabe fertig kann diese nicht in die nächste Phase Test verschoben werden, da Kanban mit dem Pull-Prinzip arbeitet. Erst wenn die Tester bereit sind, nehmen sie sich die nächste Aufgabe. Durch das Pull-Prinzip und die Limitierung der WIP-Limits werden Engpässe sofort sichtbar.
Umgang mit Engpässen
Den Engpass identifizieren Durch die Visualisierung in Kanban wird schnell sichtbar wo es sich im System staut. Trotzdem darf die Ursachenanalyse nicht vergessen werden. Es muss geprüft werden ob es sich wirklich um einen permanenten Engpass handelt.
Den Engpass ausnutzen
Erstens muss sichergestellt werden dass der Engpass immer mit Aufgaben versorgt wird. Deshalb werden im Kanban-Board vor Engpässen Puffer-Phasen eingebaut. In unserem Beispiel ist dies die Phase „Fertig für Test“. In diese Phase werden  die fertigen Aufgaben von den Verantwortlichen der Phase Umsetzung verschoben.
Zweitens muss der Engpass von allen Aufgaben entlastet werden, die nicht unbedingt im Engpass gemacht werden müssen.
Das System an die mögliche Kapazität – bedingt durch den Engpass – anpassen.
Den Engpass beheben
Wieder bei Schritt 1 beginnen
Steuern durch Serviceklassen
Gerade wenn in einem laufenden Projekt regelmäßig Auslieferungen erfolgen und Teile des Produktivsystems bereits im Einsatz sind, arbeiten die Entwickler nicht nur an der Umsetzung von neuen Features, sondern müssen parallel dazu Bugfixing betreiben und Change Requests abarbeiten. Wenn ein Entwickler dann noch zusätzlich in anderen Projekten mitarbeitet wird die Termin- und Ressoucenplanung unmöglich. Damit die Arbeitsabläufe so weit wie möglich transparent bleiben, kann die Steuerung durch die Einführung von Serviceklassen erweitert werden.
Die Aufgaben werden unterschiedlichen Serviceklassen zugeteilt. Für jede Serviceklasse können eigene Regeln und maximale Durchlaufzeiten vereinbart werden. Mögliche Serviceklassen können sein.
Beschleunigt Verursachen unmittelbar und sofort hohe Kosten. Für diese Aufgaben kann die Regel gelten dass alle anderen Aufgaben blockiert sind bis das Beschleunigte Ticket die Phase verlassen hat. Diese Aufgaben sollten maximal 5% aller Aufgaben ausmachen.
Fester Liefertermin Ist die Arbeit bis zu dem genannten Termin nicht fertiggestellt entstehen Kosten (ca. 20%)
Standard Es drohen nicht unmittelbar oder ab einem bestimmten Termin hohe Kosten (ca. 50%).
Unbestimmte Kosten Aufgaben die in „ferner“ Zukunft Auswirkungen haben könnten (ca. 30%).
Die Einteilung der Aufgabentypen und Serviceklassen sowie die Zuteilung von WIP-Limits stellen ein explizites Regelwerk dar. Es soll sicherstellen dass jeder Projektbeteiligte genau weiß wie z.B. eine Beschleunigte Aufgabe zu behandeln ist. Diese Regeln müssen natürlich auch mit dem Management, dem Aufraggeber bzw. dem Kunden vereinbart und abgestimmt werden. Es muss im Falle der Beschleunigten Aufgaben auch dem Management klar sein zu welchem Preis die Durchlaufzeit für eine Anforderung minimiert wurde.
Koordination mit Kanban
Tägliche Standup Meetings In vielen Berufsgruppen ist es völlig normal sich vor Arbeitsbeginn über den aktuellen Arbeitsstatus und bestehende Probleme auszutauschen. Das tägliche Standup Meeting, unterstützt durch das Kanban-Board, hat zum Ziel bestehende Blockaden und Engpässe zu identifizieren und die Schritte zur Behebung einzuleiten. Es muss nicht lange darüber diskutiert werden ob eine Aufgabe blockiert ist, denn durch das Kanban-Board ist es offensichtlich das sich eine Karte nicht bewegt. So kann das Team rasch in die Problemlösung gehen.
Nachschubmeeting Im Nachschubmeeting wird geklärt welche Aufgaben überhaupt in die Input-Queue kommen. Die Priorisierung der Aufgaben sollten mit allen relevanten Stakeholdern erfolgen, die Anforderungen an das Team stellen. Sofern die Projektteammitglieder in mehreren Projekten arbeiten, erfolgt hier die Abstimmung mit allen Auftraggebern. Dies ist mit Sicherheit nicht immer leicht. Doch wird die Entscheidung nicht vom Management getroffen, wird das Problem der Priorisierung nur auf eine andere Ebene – nämlich die der Mitarbeiter – verschoben. Im Projekt werden dann auf Mitarbeiterebene die Kämpfe um die raren WIP-Plätze ausgetragen.
Teamretrospektiven Hauptziel von Kanban ist es in einem System Mechanismen zu installieren die laufende Veränderungen möglich machen. Prozesse und bestehenden Regeln werden regelmäßig reflektiert. Bei der Teamretrospektive geht es um gemeinsames Lernen, um das Hinterfragen von bestehenden Regeln und die Einführung konkreter Verbesserungsschritte mit dem Fokus: “ Was können wir selbst tun?“
 Nutzen von Kanban im Projektalltag
Da Kanban im Gegensatz zu Scrum kein striktes Managementframework hat, sondern lediglich die zugrundeliegenden Prinzipien beschreibt, lässt es sich ausgezeichnet mit den klassischen Vorgehensmodellen kombinieren.
Visualisierung schafft Fakten und Klarheit
Durch die Visualisierung des Arbeitsflusses werden Engpässe und Probleme sofort sichtbar. Kommt es in einem Projekt z.B. zu ständigen Verzögerungen bei der Umsetzung von Arbeitspaketen, wird vielleicht sichtbar dass die Projektmitarbeiter zu 60% damit beschäftigt sind Bugfixing zu betreiben. Mit Hilfe dieser einfachen Methode können die tatsächlichen Probleme im Team besprochen, dem Management klar kommuniziert und mit Fakten belegt werden.
Explizites Regelwerk nimmt Emotionalität aus Diskussionen
Durch die Einteilung der Aufgaben in Aufgabentypen und Serviceklassen sowie die Begrenzung von WIP-Limits, wird ein explizites Regelwerk mit allen Projektbeteiligten vereinbart. Dies schützt die Projektmitarbeiter vor zu vielen Störungen und Unterbrechungen in Form von z.B. nicht abgestimmten Änderungswünschen.
Qualitätssteigerung
Die Qualität der Projektergebnisse wird durch das explizite Regelwerk, die Priorisierung der Aufgaben durch das Management, die eigenverantwortliche Arbeit der Projektmitarbeiter sowie die laufenden Verbesserungen durch die Teamretrospektiven gesteigert.
Planungsgenauigkeit und Termintreue wird gesteigert
Durch die Limitierung der gleichzeitigen Arbeiten im System und dem abgestimmten Umgang mit Anforderungen von unterschiedlichen Auftraggebern wird die Vorhersagbarkeit von Terminen erhöht. Durch das klare Regelwerk können die Durchlaufzeiten für die unterschiedliche Serviceklassen genauer eingehalten werden.

 

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